Annas alternativer Lebenslauf (aus Sicht des Vaters)
1968: Anna wird in einem der vielen Häuser an der uralten, staubigen Römerstraße EGNATIA geboren. Sie hat blaue Augen und schwarze Haare und heißt Ulrike. Sie schreit ihren Vater wenige Minuten nach ihrer Geburt mit hochrotem Kopf wütend an.
1971: Mit drei Jahren ist ihr alles klar.
1971 bis 1973: Ihre Lieblingsspeise sind Krabben mit Rührei, ihre Lieblingskleidung sind Ringelsöckchen und Ringelröckchen, ihre beste Freundin heißt »Püppüp« und ist mit Holzwolle ausgestopft.
- Fragen, auf die sie schweigt:
- »Wer hat dich vom Kindergarten nach Hause gefahren?«
- »Warum isst du deinen Teller nicht leer? «
- Eine Frage, die sie stellt:
- (an den Vater) »Warum tust du so, wie wenn du lieb wärst?«
- Aussagesätze:
- (an Clemens und Manuel) »Man kann auch mit Riekchen spielen.«
- (an die Eltern auf Corfu) » Ich will aber mit der Kutsche fahren, ich will aber mit der Kutsche fahren, ich will aber mit der Kutsche fahren, ich will aber mit der Kutsche fahren, ich will aber mit der Kutsche fahren. «
Ab 1977: Besonders im Dunkeln des Schlafzimmers erscheinen ihr schwarze Luftgestalten aus uralter Zeit, die sie bedrohen. Ulrike zeichnet einen Teddy so gut, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
Ab 1982: Annas liebste Freundin ist schon lange nicht mehr Püppüp, sie heißt Alexandra, sieht aber aus wie eine große Puppe.
Ab 1988: Vieles ist schlimm, am grässlichsten sind die Eltern. Ulrike nennt sich selbst Anna und die Eltern mit deren Vornamen. Ihre Augen sind jetzt braun und die Haare blond.
Ab 1992: Die Drohgeister verkrümeln sich allmählich, die Eltern werden erträglicher. Anna lernt beeindruckende Männer, inkompetente Zahnärzte und jede Menge Arschlöcher kennen.
Ab 1993: Aus Annas Bildern verschwindet allmählich das drohende Dunkel, sie strahlen eine Freude (und skurrile Phantasie) aus, die man mit bloßer Maltechnik nicht erlernen kann.
Ende der neunziger Jahre: Sie wählt einen Mann, der ihr nicht nur auf angenehme Weise Kinder macht, sondern diese auch an unangenehmen Tagen mit ihr zusammen großzieht.
2000 und 2003: Folglich werden ein konzentrierter Baumeister und eine resolute Tänzerin geboren. Beiden ist mit drei Jahren alles klar (siehe oben).
Irgendwann in den verflossenen Jahrzehnten
- wurde ihr in einem wissenschaftlich fundierten Test höchstens Realschulreife attestiert,
- besaß sie die Frechheit, die Wissenschaftler durch eine gutes Abitur zu widerlegen,
- machte sie zu allem Überfluss auch noch ein gutes Hochschulexamen.
Was lehrt uns das? Das lehrt uns, dass sich schnell oder langsam vieles ändern kann und man von Ulrike Anna Margarete noch einiges erwarten darf.