‚Sinn & Wahn‘

Ausstellung in der Galerie im Thalhaus Wiesbaden, Rede zur Eröffnung am 27.09.2015
von Ulrich Meyer-Husmann, Vorsitzender des Kunstverein Bellevue-Saal in Wiesbaden

 

Anna Bieler, die Künstlerin dieser Ausstellung, hat zwar auf einem ausgelegten Blatt unter anderem Lebensdaten genannt, aber in solcher Kürze, dass ich auf ihre Biographie noch kurz eingehen möchte. Die äußeren Daten sind schnell aufgeführt: 1968 in Griechenland geboren, nach fünf Jahren Umzug nach Deutschland, dann 1977 nach Lissabon und ab 1982 wieder Deutschland. Beide frühen Stationen – Griechenland und Portugal – sind für sie bestimmende Erfahrungen gewesen: Sonne – sprich Wärme – und Wasser. Jahr für Jahr zieht es sie nach Portugal, um dort zu malen. Was ich auf einer Künstler-Webseite so noch nie gesehen habe, Anna Bieler gibt einen ‚alternativen Lebenslauf‘ an, der von ihrem Vater stammt.. Dort kann man lesen: Mit 3 Jahren wusste sie alles. Oder: Ich will mit der Kutsche fahren. Ich will….Ich will… Was sich hier schon bei der kleinen Anna zeigt, ist ihr starker Wille, ihre Energie. Wer Anna Bieler im Atelier gesehen hat, wie sie ihre großen Bilder einfach so herumträgt, ahnt, welche Kraft in ihr steckt.

In Interviews gibt es Äußerungen, die gleichsam Schlüsselsätze sind. Einer davon ist ‚Malen ist meine Leidenschaft‘.

Was bestimmt diese Malerei?

Auffallend ist die bunte Palette der verwendeten Farben: Rot, Blau, Gelb – die sogenannten Primärfarben. Verzichtet wird dagegen auf Erdfarben. Zu den Primärfarben gesellen sich die Sekundärfarben Grün, Orange, Violett. Bestimmende Farbe ist aber ein warmes Rot. Rot ist energetische Farbe, hat in dieser Ausprägung eine positive Energie. In einigen Bildern treten Ultramarin und Zitronengelb zusammen auf und laden die Bilder spannungsvoll auf. Was man den Bildern nicht ansieht, ist die wichtige Rolle von Weiß. Die meisten Farben sind versetzt mit Weiß, sie werden dadurch aufgehellt bzw. andererseits auch verdichtet, sodass die Farbflächen in sich lebendig sind durch einen strukturierten Farbauftrag. Es ist im Wesentlichen eine flächige Malerei, bei der die Flächenformen klar begrenzt werden durch Konturen bzw. durch das Nebeneinander kontraststarker Farben. Auf Perspektive als Ordnungsgefüge wird weitgehend verzichtet. Es handelt sich um eine erkennbar figürliche Malerei, die aber nicht realistisch angelegt ist.

Das rückt die Frage nach dem Was in den Mittelpunkt.

In einem Prospekt las ich gestern: ‚Bunte Farben strahlen Optimismus aus‘ und in Artikeln zu den Bildern von Anna Bieler wurde von ‚fabelhafte(n) Welten‘ und ‚skurrile(r) Phantasie‘ gesprochen. Ich empfinde das als Schubladen und möchte das differenzieren. Festhalten lässt sich: Auf den Bildern treten alle möglichen Wesen in nicht näher definierten Räumen auf. Interessant ist, dass im Altägyptischen das Wort Farbe gleichzeitig das für Wesen ist. Und im Deutschen bedeutet Farbe auch Leben. In Redewendungen wie: ,Ihm wich die Farbe aus dem Gesicht‘ wird das deutlich.

Leben ist ihr Thema.

Vorrangig werden Menschen dargestellt, oft Mann und Frau in ihrer Beziehung zueinander. Die Physiognomien, vor allem das Profil, lassen manchmal an Figuren von Hieronymus Bosch denken, die Farben dagegen sind eher expressionistisch geprägt. Aber was heißt das schon?

Wichtiger ist, die Bilder erzählen vom Menschen, seinen Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten. Achten Sie auf die Augen, sie sind oft Ausdrucksträger.

Wenn ich ein Bild male, versuche ich an etwas ganz Ursprüngliches, Existenzielles zu kommen“ – so die Künstlerin.

Deshalb bei ihr der Rückgriff auf mythische Figuren und Formen, auch wenn dabei eine zum Teil subjektiv ausgeprägte Symbolik vorherrscht. Für den Betrachter heißt das, die symboli-schen Bezüge sind meist nicht eindeutig, sind von daher eher schwierig zu entschlüsseln, weil viele Assoziationen sich anbieten.

Beispiele: Wasser. Es bedeutet Bewegung, Leichtigkeit, Schwimmen darin wird als schwereloses Schweben empfunden. Aber wegen seiner Formlosigkeit steht Wasser auch für Chaos, das alles verschlingen kann, auch Urmaterie. Bei Anna Bieler steht es für das Unterbewusste. Blumen. Sie verkörpern Schönheit, aber auch Vergänglichkeit, sie sind ein beliebtes Vanitas-Symbol. Fisch wird als göttlich oder dämonisch interpretiert, gleichbedeutend mit Leben oder Tod. Und ‚frutti di mare‘ als Delikatesse unter den Antipasti auf der Speisekarte verweist auf Fisch als Fruchtbarkeitssymbol – auch in phallischer Ausdeutung. Bei verschiedenen Völkern Nordafrikas bietet der Fisch sogar Schutz vor dem bösen Blick. Vogel ist die Gegenfigur zu Fisch. Vögel gehören dem Luft- und Lichtreich an und sind von daher Symbol der Seele und Geister. In der altägyptischen Kunst verlässt die Seele als Vogel die Toten. Schließlich noch Sonne. Sie kann zum Blühen/Leben bringen und andererseits auch verbrennen.

Die Beispiele, die sich auf die Bilder von Anna Bieler beziehen, zeigen, dass es meist keine eindeutigen Bedeutungen gibt, wichtig ist der jeweilige Kontext.

Ich würde von Ambivalenzen sprechen. Und die gehen bis in den Aufbau der Bilder hinein. Es gibt in fast allen Bildern eine geheime Mittelachse, manchmal sogar durch Kreisformen –seien es Gestirne oder Köpfe – akzentuiert. Dadurch entsteht gleichzeitig ein Gegenüber der beiden Seiten, links und rechts. Thematisch heiter versus dunkel, Leben/Lust/Erotik versus Tod, Lachen/Witz versus Trauer, Sinn & Wahn – so der Titel der Ausstellung.

Aber Vorsicht: ‚Die Wahrheit ist anders‘ heißt ein Bildtitel aus dem letzten Jahr. Verfallen Sie deshalb nicht darauf, das auf den Bildern Dargestellte von den Titeln her aufzuschlüsseln. Die Titel nämlich sind durchweg nachträglich entstanden als Resultat der Gedanken der Künstlerin beim Malen.

Das Leben ist zu groß für den Menschen‘

Auch das ein Bildtitel, diesmal aus dem Jahr 2011, und gleichzeitig ein weiterer Schlüssel-satz. Man kann den Satz sicher als Ausdruck von Resignation lesen. Aber ich denke – man kann ihn auch ganz anders verstehen, als das tiefe Staunen vor den Möglichkeiten und der Mannigfaltigkeit im menschlichen Leben.

Staunen können hat eine besondere Qualität – Für den Staunenden ist in der Welt nicht alles festgefügt, nicht geordnet, sondern etwas eigenartig Großes und Wunderbares. Nach Plato ist Staunen der Ursprung der Philosophie. Und für Karl Jaspers ist gerade das kindliche Staunen und das daraus resultierende Fragen die Vorstufe zum philosophischen Fragen und rührt an Ursprüngliches.

Lassen Sie sich von den Bildern dazu anregen.